F Umweltgruppe Kirchheim am Ries e. V.
  Der Kolkrabe

 
 

Kolkrabe (Corvus corax)
Foto: US Forest and Wildlife Sevice
 
 

Der Kolkrabe (Corvus corax) ist der größte schwarze Vogel, den man bei uns beobachten kann: mit einer Länge von 60 cm und einer Flügelspannweite von bis zu 150 cm ist er doppelt so groß wie eine Dohle. Wenn man ihn näher sieht, fällt der große Schnabel auf. Unverkennbar ist seine Stimme: ein hohl klingendes „korrr“, das man sofort wiedererkennt, wenn man es einmal gehört hat. Er ist ein Allesfresser: Früchte werden genauso verzehrt wie Insekten, Aas oder Jungvögel. Er hat ein großes Verbreitungsgebiet: mit Ausnahme von Teilen Mitteleuropas werden die gemäßigten Teile der Nordhalbkugel der Erde von ihm bewohnt. Er lebt in Dauerehe, baut sein großes Nest an Felsen, wenn diese verfügbar sind, oder auf Bäumen, zieht jedes Jahr 2 – 3 Junge groß und kann bis zu 16 Jahre (angeblich sogar 60 Jahre) alt werden. Für einen Vogel seiner Größe hat er eine recht hohe Sterblichkeit — fast 60 % im ersten Lebensjahr.

Häufig war er noch nie in Mitteleuropa: unsere seit langer Zeit „zivilisierte” Landschaft bietet zu wenig Nahrung für eine zahlreiche Population dieses großen Vogels. Trotzdem gab es ihn schon immer bei uns: in den Ausgrabungen des römischen Kastells von Rainau-Buch fand man seine Knochen. In der germanischen Mythologie spielte er eine wichtige Rolle: die zwei schwarzen Vögel, die auf den Schultern des Göttervaters Wotan sitzen, sind Kolkraben.

Noch vor 50 Jahren galt er bei uns als ausgestorben, und sein Verschwinden ist auch eine Geschichte menschlicher Dummheit: in einer Zeit, in der Tiere ausschließlich nach ihrer Nützlichkeit für den Menschen beurteilt wurden, wurde er als Schädling gnadenlos verfolgt.
Obwohl exakte Zahlen fehlen, scheint er zumindest auf der Südwestalb, der Baar und im Schwarzwald im 18. Jahrhundert nicht selten gewesen zu sein. Dann aber, im 19. Jahrhundert, setzte die Verfolgung ein, und Prämien wurden an den Schützen gezahlt, wenn er einen Raben erlegt hatte. Der letzte Kolkrabe Baden-Württembergs wurde 1918 bei Maulbronn gesehen. In den Alpen konnte er sich immer noch halten, und es dauerte mehr als drei Jahrzehnte, bis er wieder versuchte, bei uns Fuß zu fassen. Die ersten Beobachtungen stammen von 1950 aus der Gegend des Schwarzen Grates im Allgäu. Von dort aus besiedelte er zuerst Oberschwaben, dann den Schwarzwald und von Südwesten her die Alb. Wann er auf der Ostalb erstmals wieder auftauchte, weiß ich nicht genau – es dürfte um 1980 gewesen sein, als ich ihn zum ersten Mal am Tierstein bei Aufhausen sah. Wenn man jetzt durch die Wälder des Härtsfeldes geht, kann man ihm immer wieder begegnen; meist hört man nur seine Rufe über dem Wald. An den Felsen oberhalb des Kocherursprungs sah ich ihn immer wieder. Auch am westlichen Riesrand sieht und hört man die Raben; oft sind es Altvögel mit ihren Jungen, die im Herbst und im Winter umherstreifen und sich Nahrung suchen. Am Tierstein brütet er fast regelmäßig. Man schätzt, dass es zur Zeit in Baden-Württemberg etwa 150 Brutpaare des Kolkraben gibt.

Legendär ist die „Intelligenz“ der Kolkraben. Schon Wilhelm Busch setzte ihm mit dem Raben Hans Huckebein ein unvergessliches Denkmal, Konrad Lorenz, der Altmeister der Verhaltenslehre, schrieb über ihn, und 1943 fand man heraus, dass die Raben bis sieben zählen können. Kürzlich las ich einen Aufsatz zu diesem Thema, aus dem ich hier einiges wiedergeben möchte.

In einer Voliere wurde den Raben ein Futterbrocken vorgesetzt, der – für den Vogel zunächst unerreichbar – an einem Faden von der Sitzstange nach unten hing. Alte Raben besahen sich die Angelegenheit eine Zeit lang, und dann zogen sie mit dem Schnabel die Schnur hoch, hielten die Schlaufen mit den Zehen fest, zogen weiter und hatten so nach kurzer Zeit den Brocken zu sich heraufgeholt. Die „Klügsten” brauchten nicht einmal eine Minute dazu. Was würden sie tun, wenn man sie zum Wegfliegen veranlasst, solange sie noch an der Schnur befestigten Brocken im Schnabel halten ? Junge Raben flogen einfach weg, und der Brocken wurde ihnen natürlich aus dem Schnabel gerissen. Die Altvögel dagegen „wussten”, dass sie den Brocken nicht mitnehmen konnten, und sie ließen ihn einfach los. War aber die Schnur, an der der Brocken hing, am anderen Ende nicht befestigt, so nahmen sie Brocken samt Schnur selbstverständlich mit. Wurde die Schnur, an der der Brocken hing, über eine Umlenkrolle geleitet, sodass die Raben nach unten ziehen mussten, um den Brocken herauf zu holen, so mussten sie aufgeben – ihre „Intelligenz” reichte nicht aus, um den Umweg zu verstehen.

Auch in die Gedanken anderer Raben können sie sich hineinversetzen. Wenn ein Rabe merkt, dass ein anderer ihm zugesehen hat, als er Futter versteckte, so tut er alles, um diesen Raben vom Versteck fern zu halten. Ein Rabe, der nach Meinung des Versteckbesitzers das Versteck nicht kennt, wird dagegen nicht behelligt.

Welche Schlüsse kann man aus diesen – und anderen, ähnlich verlaufenden Versuchen – ziehen ? Das Verhalten der Kolkraben ist wahrscheinlich zumindest teilweise von mentalen Vorstellungen geprägt, und sie können sich auch vorstellen, wie andere Raben handeln würden. Sie gehören sicherlich zu den „klügsten“ Vögeln. Nicht zuletzt deshalb schaffen sie es, sich in ihrem riesigen Verbreitungsgebiet, das vom arktischen Eisrand bis zum Mittelmeer und von Mitteleuropa bis in die Berge des Himalaya reicht und in dem je nach Umgebung recht unterschiedliche Strategien zum Überleben nötig sind, zu behaupten.

Der Rabe ist auch der Anti-Held der Fabel vom Fuchs und dem Raben von Jean de La Fontaine, und die geht so:

Herr Rabe auf dem Baume hockt,
Im Schnabel einen Käs.
Herr Fuchs, vom Dufte angelockt,
Ruft seinem Witz gemäß:
„Ah, Herr Baron von Rabe,
Wie hübsch Ihr seid, wie stolz Ihr seid !
Entspricht auch des Gesanges Gabe
Dem schönen schwarzen Feierkleid,
Seid Ihr der Phönix-Vogel unter allen !”
Der Rabe hört's mit höchstem Wohlgefallen,
Läßt gleich auch seine schöne Stimme schallen.
Da rollt aus dem Rabenschnabel der Fraß
Dem Fuchs ins Maul, der unten saß.
Der lachte: „Dank für die Bescherung !
Von mir nimm dafür die Belehrung:
Ein Schmeichler lebt von dem, der auf ihn hört.
Die Lehre ist gewiß den Käse wert.”
Der Rabe saß verdutzt und schwor:
Das käm ihm nicht noch einmal vor.

Die Produzenten des „Brie de Melun” behaupten, dass es ihr Käse gewesen sei, der so begeht war.

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